Virtuelle oder verteilte Teams

Durch | 14. August 2009

Ich gestehe der Begriff des “virtuellen Teams” steht nur in der Ãœberschrift um Futter für die Suchmaschinen zu liefern. Ich halte den Begriff für mehr als irreführend. Ein Team, d.h. eine kooperierende Gruppe kann nicht virtuell sein, sie kann nur “verteilt” sein. Verteilt im Sinne des räumlichen Arbeitsplatzes oder verteilt im Sinne verschobener Arbeitszeiten.

Haben verteilte Teams irgendwelche Besonderheiten – NEIN. Es sind die gleichen Faktoren zu berücksichtigen wie bei einem Team, das an einem Ort sitzt: Gemeinsame Ziele, klare Zugehörigkeit, Vertrauen und Kooperation sind wichtig. Die Teams machen – verteilt oder nicht – die gleichen gruppendynamischen Phasen durch, werden dabei zum echten Team oder eben nicht. Nichts hiervon geschieht bei einem eng zusammensitzenden Team automatisch, auch hier kann die Gruppendynamik zu einem zerstrittenen Haufen oder einer Reihe von EinzelkämperInnen führen.

Es sind eigentlich nur zwei Aspekte bei denen sich ein wirklicher Unterschied zeigt:

  • zeitlicher Verlauf der Gruppendynamik
  • Effekte durch Einsatz von speziellen Kommunikationsformen

Der erste Punkt ist hierbei eher von akademischem Interesse, durch die Verteilung wird die Kommunikation verzögert, spontane Reaktionen und Emotionen werden im Team nicht unmittelbar erlebt. Dies führt zu einer gewissen Abschwächung oder Dämpfung, andererseits besteht die Möglichkeit, dass sich Konflikte verfestigen weil keine unmittelbare Möglichkeit besteht “Dampf abzulassen. Möglicherweise heben sich diese beiden Effekte weitgehend auf. Resultierend stellt sich ein etwas gemächlicheres, unspektakuläres Durchlaufen der Teamphasen ein.

Der zweite Punkt ist deutlich spannender. Ãœber die Ursachen der Misskommunikation habe ich schon ausführlich in dem Beitrag Da ist etwas Grünes in der Suppe geschrieben. Die dort beschriebene Missdeutung der 4 Seiten einer Botschaft wird bei der Verwendung spezieller Kommunikationstechniken wie

– Chat
– Mikroblog
– Telekonferenz
– Videokonferenz
– Wiki
– Foren
– …

sehr viel wahrscheinlicher. Jeder der genannten Kommunikationskanäle ist auf seine Weise unvollständig. Dem Gegenüber fehlt immer eine Information (Körpersprache, Stimmlage, Aussprache, …). Erschwerend kommt hinzu, dass in den seltensten Fällen alle Mitglieder des Teams mit allen Kanälen gleich gut umgehen können. Der eine hat Schwierigkeiten vor der Kamera, der andere kann im Chat nicht schnell genug tippen – was auch immer. So kann z.B. die Langsamkeit des Schreibens vom Kommunikationspartner als Desinteresse ausgelegt oder mit geistiger Langsamkeit verwechselt werden. Auch technische Unzulänglichkeiten, wie unscharfe Videobilder, minimaler Zeitversatz von Ton und Bild können zu erheblichen Fehlinterpretationen von Gesichtsausdrücken führen. So können gut gemeinte Kommunikations-Werkzeuge zur Quelle erheblicher Missverständnissen und nachfolgenden Konflikten werden. Was lässt sich im Sinne einer geglückten Kommunikation dagegen tun?

  1. Es sollten mehrere ergänzende Kommunikations-Werkzeuge zum Einsatz kommen.
  2. Dem Team sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich einen Teil seiner Kommunikationswerkzeuge selbst aufzubauen oder auszuwählen.

Mit dem zweiten Punkt kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen kann ggf. auf ein für dieses Team unpassende Werkzeug verzichtet werden – nicht immer ist ein bewährtes System auch für jedes Team geeignet. Zum anderen ist die Schaffung teaminterner Kommunikationskanäle ein wichtiger Baustein der Entwicklung des Teams, gewissermaßen die erste Probe der Selbstorganisation. Zu guter Letzt der wichtigste Rat: Jedes verteilte Team sollte sich auch einmal real begegnet sein.

 

4 Gedanken an “Virtuelle oder verteilte Teams

  1. Dr. Eberhard Huber Beitragsautor

    Hallo Herr Schloß,

    die Schwäche in der Definition liegt m.E. eher darin, dass serh viele Teams “verteilt” sind. Verteilung und entsprechend der Einsatz virtueller Kommunikationswerkzeuge beginnt in dem Moment, wenn man nicht mehr in einem Zimmer sitzt. In meiner langen Laufbahn hatte ich nur wenige Male die Gelegenheit mit einem Projektteam vollständig in einem Raum zu arbeiten. Ich schätze mal, dass eine gewisse “Verteiltheit” eher der Normalfall ist. Ich vermute weiterhin, dass der bewusste Einsatz “virtueller Kommunikation” erst mit zunehmender Verteilung (verschiedene Stokwerke) geschieht. Interessanterweise zeigt sich sogar eine leichte Korrelation des Projekterfolgs in Anhängigkeit der räumlichen Verteilung des Teams (siehe Link) – das werden wir in der nächsten Untersuchung noch mal genauer unter die Lupe nehmen.

    viele Grüße Eberhard Huber

    http://www.pentaeder.de/projekte/2009/07/20/projekterfolg-und-raumliche-verteilung-des-teams/

  2. Bernhard Schloß

    Vielleicht ist diese Begriffs-Definition etwas betriebsblind: Virtuelle Teams sind aus meiner Sicht nicht nur durch ihre räumliche Verteiltheit gekennzeichnet, sondern vor allem durch ihre Nutzung virtueller Medien. Es spielt keine Rolle, ob wir in angrenzenden Räumen sitzen, wenn wir nicht miteinander reden, sondern uns eMails schreiben (oder twittern oder… oder… oder…).
    Umgekehrt gibt es eine ganze Reihe verteilter Teams, die teilweise auch ohne virtuelle Medien miteinander agieren – man denke nur an globale Produktionsprozesse (es müssen ja nicht gleich Software oder Autos sein, sondern z.B. Bleistifte…).

  3. Dr. Eberhard Huber Beitragsautor

    Hallo Kevin … danke für Deinen Kommentar, mit anderen Worten formuliert, bei manchen der Kommunikations-Wunder-Waffen geht der Schuss nach hinten los.

    Was das Treffen angeht habe ich nicht ausführlich genug geschrieben. Ein reines Social Event – nur um sich zu sehen – sollte es nicht sein. Das sollte schon ein Arbeitstreffen oder ein echter Kickoff sein um die gemeinsame Motivation zu schaffen. Ein Open Source Projekt, das über Jahre läuft ist was die Gruppendynamik und die Motivation angeht ein wenig anders zu betrachten – im Open Source Projekt machen die meisten freiweillig mit 😉 In kommerziellen Projekten ist das gelegentlich anders deshalb muss dort die Motivation manchmal erst geschaffen werden.

    Deinen letzten Satz möchte ich ganz dick unterstreichen.

  4. Kevin

    Boah, da muß ich aber mal was zu sagen, nachdem ich diese Situation aus mehreren Gesichtspunkten kenne:

    1. Aus einem klassischen Softwareprojekt. Ich beim Kunden, angewiesen auf das feedback und die Reaktion des Entwicklungsteams daheim im Unternehmen.
    Skype => für die Tonne, fast immer Sprachqualitätsmängel
    Skype inkl. Video => Horror, absolut nicht zu gebrauchen. Macht nur Probleme. Der Gesprächspartner schaut einem nicht in die Augen, sondern auf den Bildschirm. Aussetzer etc. … absolut nicht zu empfehlen, hab schon mehrere Desaster damit gehabt, inkl. wichtiger Konferezen mit Kunden
    Chat => eventuell, falls es nicht dringend ist
    Foren => wie Chat, mit der Möglichkeit für spätere universelle Anwendung
    Microblog => quark, brauch kein Mensch im verteilten Team

    Die einzigen wahren Kommunikationsmittel sind Email und Telefon. Beides jahrelang erprobt und für jeden leicht verständlich. Telfon wenn es eilt, Email wenn es Zeit hat.

    Das man sich mal treffen sollte ist unwahr. Kann sicher helfen, aber wenn ein team keine eigene Motivation findet miteinander zu arbeiten, bringt auch ein Social Event nicht viel.
    Arbeite selber in 2 OpenSource Projekten und die Teams dort funktionieren seit Jahren ohne sich zu sehen, oft besser als man das vom Job kennt.

    Wieso? Die Motivation ist da… Sollten sich Arbeitgeber mal Gedanken drüber machen.

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