Komplexität wird überbewertet

Durch | 9. Dezember 2014

Im vorangegangen Artikel hatte ich das Thema Komplexität schon andiskutiert. Heute möchte ich einige Gedanken ergänzen und eine These formulieren. Im Kern ist sie schon in der Überschrift formuliert. In den letzten Tagen habe ich mir die Mühe gemacht Projekte meiner Laufbahn bzgl. Komplexität genauer anzuschauen. Ich habe einige gefunden, die man als komplex bezeichnen könnte, ein Teil der komplexen war erfolgreich, ein anderer Teil nicht. Sind die nicht erfolgreichen an der Komplexität gescheitert? Zumindest für meinen Erfahrungskontext muss ich diese Frage mit NEIN beantworten. Die Ursachen waren geradezu banal.

Bevor ich weiter über die Komplexität rede möchte ich den Begriff und seine Abgrenzungen noch etwas einfacher ((Komplexität bezeichnet allgemein die Eigenschaft eines Systems oder Modells, dessen Gesamtverhalten man selbst dann nicht eindeutig beschreiben kann, wenn man vollständige Informationen über seine Einzelkomponenten und ihre Wechselwirkungen besitzt. Definition, siehe Wikipedia)) fassen. Konkret möchte ich drei Begriffe in den Blick nehmen: einfach, kompliziert, komplex.

Bei einem einfachen Zusammenhang gibt es eine leicht überschaubare, kausale Wirkungskette. Ein Schalter wird geschlossen, Strom fließt, die Lampe beginnt zu leuchten – das ist einfach. Es wird kompliziert, wenn die Wirkungskette kausal aber nicht mehr leicht zu überschauen ist. Obenstehendes Video zeigt einen komplizierten Vorgang bis die Kamera ausgelöst wird und das Blitzlicht leuchtet. Das ist aber noch nicht komplex. In einem komplexen Zusammenhang geht die kausale Wirkungskette verloren. Das Leuchten des Lichts hängt dann nicht mehr vom Drücken eines Schalters ab. Es kommen unbekannte und nicht hinreichend genau erfassbare Störgrößen hinzu die die Wahrscheinlichkeiten verändern, dass das gewünschte Ergebnis (es werde Licht) eintritt.

die Wettervorhersage

Ein alltägliches und komplexes Phänomen ist das Wetter und die Vorhersage desselben. So hoch die Genauigkeit der Satellitenaufnahmen, die Menge der Wetterstationen und die Rechenleistung der Computer auch sein mag eine präzise Wettervorhersage über einen längeren Zeitraum hinweg wird nie funktionieren. Der sprichwörtliche Flügelschlag eines Schmetterlings kann die beste Prognose verhageln. Wenn ich als Fußgänger jeden Tag ins Freie muss und über die Unzuverlässigkeit von Wettervorhersagen weiß, ist das ständige Mitführen eines kleinen Schirms in der Aktentasche die bessere Alternative als die Beschaffung weiterer Wetter-Apps. Selbst wenn die ultimative Wetter-App schon erfunden wäre, könnte diese das Nässe-Problem nicht lösen. Ohne den Schirm würde ich doch wieder im Regen stehen. Die 100% zuverlässige Wettervorhersage könnte mir nur ersparen den Schirm jeden Tag mitzunehmen. Das aber wohlgemerkt nur dann wenn ich mich an den geplanten Tagesablauf halte und zur richtigen Zeit am vorhergesagten regenfreien Ort bin. Wenn sich aus irgendeinem nicht vorhersehbaren Grund (z.B. Zugverspätung) eine Änderung ergibt kann es wieder passieren, dass ich im Regen stehe und mich freue wenn ich den Schirm doch eingepackt habe. ((Ich habe dieses Beispiel bewusst gewählt weil ich genau in diese Falle getappt bin. In diesem Jahr pendle ich viel zwischen München und Stuttgart. Um das Gepäck zu minimieren hatte ich mir angewöhnt auf die Wetter-Vorhersage-App auf meinem Telefon zu schauen, als nächstes kam dann noch ein weiterer Online Wetter-Service dazu, es folgte das doppelte Widget für Stuttgart UND München. Und das Ergebnis: zu Beginn des Jahres stand ich ohne warme Jacke und Schirm im dichten Schneetreiben. Am Tag darauf habe ich mir einen kleinen Schirm gekauft, der genau in meine Umhängetasche passt. Diesen trage ich jetzt immer mit mir rum.))

Vom Wetter zurück zum Projekt

Projekte sind – auch wenn es schick ist über Komplexität zu reden – mitnichten so oft komplex wie es den Anschein hat. Sie sind zwar gelegentlich in komplexe Umgebungen eingebettet. Das heißt aber nicht, dass der Kern des Projektes selbst auch komplex sein muss, noch heißt es, dass die Komplexität des Umfelds betrachtet, verstanden oder gar kontrolliert werden muss.

Vielleicht sollten wir, statt das „Management“ auf eine neue Ebene zu heben um Komplexität in den Griff zu bekommen versuchen gemäß dem Vorbild der Natur die Komplexität durch Filterung teilweise ausblenden und so die Komplexität bewusst aus dem Projekt herauszuhalten. Statt immer noch mehr Parameter zu betrachten wäre die bewusste Reduktion auf wenige und eine vorausschauende Reaktion auf diese wenigen vielleicht erfolgversprechender.

Dann gibt es noch Projekte, die künstlich verkompliziert werden bis sie den Anschein von Komplexität erwecken. Hier wäre mit wenigen Abgrenzungen und Entscheidungen viel erreicht. Manchmal beschleicht mich das ungute Gefühl, dass die Verkomplizierung bewusst betrieben wird um ein aufwändiges Management zu rechtfertigen ((In seltenen Fällen habe ich den Eindruck, dass sich im Nebel der Pseudo-Komplexität Schlampereien und ggf. Unredlichkeiten besser verstecken lassen.)). Ich habe es selbst schon oft erlebt, dass klare einfache Projektideen mit großen Erfolgsaussichten aufgebläht wurden bis nicht mehr steuerbare Konglomerate an Vorhaben und Teilprojekten entstanden.

Zu guter Letzt frage ich mich ob wir von Projekten, die wirklich und wahrhaftig komplex sind und keinen Ansatz zur Reduktion ((Reduktion im Sinne der Filterung, siehe Wikipedia: Komplexität durch Filterung)) bieten, vielleicht öfters mal die Finger lassen sollten.

9 Gedanken an “Komplexität wird überbewertet

  1. Dr. Eberhard Huber Beitragsautor

    Hallo Peter, ja ich denke, dass eine bewusste Einfachheit ein Lösungsansatz sein kann, LG Eberhard

    Hallo Patrick Koglin, danke für die Erweiterung des Bildes. Die Komplexität ist die gleiche, das Ergebnis ist das fiese. Das soll jetzt keine Wortklauberei sein. Zurück zu Projekten – wir können mit vorbeugenden Maßnahmen nur eine gewisse Schwere von Ereignissen absichern, irgendwann ist Schluss und das Projekt müsste abgebrochen werden um weiteren Schaden zu vermeiden. Die Möglichkeit des Scheiterns wird m.E. zu oft verdrängt, LG Eberhard

  2. Patrick Koglin

    Hallo Peter Madlener,

    ja, ein Schirm ist gut. Was mache ich jedoch mit einem Orkan oder sonstigen Naturgewalten. Darauf muss und sollte man vorbereitet sein. Es gibt Naturgewalten da hilft kein Schirm, da hilft auch kein gutes Fundament. Um beim Bild zu bleiben: Da sind Naturgewalten bei denen gar nichts hilft. Die sind einfach da. Führen Schaden zu. Die sorgen bei anderen Menschen für Angst und Unsicherheit.

    Nur ein kleiner Schweif weg von der „einfachen Komplexität“ zur „fiesen Komplexität“.

    Liebe Grüße
    Patrick Koglin

  3. Peter Madlener

    Hallo Eberhard, Hallo Heiko,
    mir gefällt die Fragestellung von Heiko.
    – ob nicht möglichst simple Werkzeuge / Methoden die passende Antwort auf Komplexität sind -.
    Vor allem, weil das Beispiel mit dem Regenschirm da genau hineinpasst. Das Wetter ist unbestritten komplex und ein Regenschirm ist sicher nicht besonders kompliziert.
    Was auch interessant ist, die Lösung mit dem Regenschirm beschäftigt sich nicht mit der Ursache des Regens. Was ja eh keinen Sinn machen würde. Es wird einfach nur verhindert, dass der Regen zu weiteren Problemen führt.

    Viele Grüße,
    Peter

  4. Dr. Eberhard Huber Beitragsautor

    Hallo Patrick, zuerst einmal willkommen hier.

    Die Komplexität, die mit den Menschen kommt würde ich nicht nur zulassen wollen, sondern als wertschätzen wollen. Die Menschlichkeit unter Kontrolle zu zwingen gefällt mir noch weniger, da spreche ich schon mal von einem „Sündenfall“.

    Dein Schlusssatz gefällt mir sehr gut.

    “ Sich täglich neu darauf einzustellen, Bewusstheit darüber zu haben und Tatkräftig bleiben hilft. Alles andere ist Kampf mit Windmühlen. Inspect & Adapt.“

  5. Dr. Eberhard Huber Beitragsautor

    Holger, Heiko … es gibt noch viel Stoff für Diskussionen 🙂

    Ich denke Heiko hat es in seiner „Frage“ auf den Punkt gebracht.

    Wenn auf komplexe Situationen (Probleme, Projekte) mit immer komplizierteren Werkzeugen (Management, Prozesse, Methoden) geantwortet wird, dann steckt da doch schon ein Denkfehler, oder?

  6. Patrick Koglin

    Hallo!

    Eine spannende Denkrichtung.

    Aus meiner Sicht ist Komplexität häufig schon dort vorhanden wo mehrere Menschen zusammenarbeiten. Die hausgemachte Komplexität durch Tools oder komplizierte Werkzeuge und Prozesse kommt dann noch dazu. Hier hilft als „Modell“ die Stacey Matrix: http://www.agile-is-limit.de/wp-content/uploads/2013/03/staceMatrix.jpg – Komplexität lässt sich also zerlegen und demnach auch durch schmale simplere Werkzeuge und Prozesse verringern. Stichwort: Lean Management.

    Ein Blick auf bisher gesichtete Praxis zeigt mir, dass häufig wenig oder kaum Bewusstheit über Komplexität vorhanden ist. Ja, sie wird gar ignoriert. Frei nach dem Motto: „Das ist eben so“. Hiervor möchte ich warnen. Das führt zu Schmerz oder gar Leid. Warum? Es herrscht Chaos und Monarchie. Undurchsichtigkeit und Stress. Ein Beispiel: Nicht zu wissen ob man morgen noch die gleiche Aufgabe machen wird, wie gestern angefangen. Noch spezifischer: Nicht zu wissen ob der Arbeitsplatz den man heute hat, noch morgen meiner ist. Das zu ignorieren stärkt nicht unbedingt die Resilienz.

    Und ja, ich stimme dir auch zu wenn du schreibst das man aufhören sollte Komplexität in den Griff zu bekommen oder zu kontrollen. Das funktioniert ohnehin nicht. Komplexität ist. Fertig. Filtern ist ein bewusster Umgang damit, der zu bestimmten Zeitpunkten helfen kann, auf Dauer und lange Sicht wohl kaum. Komplexität birgt Risiken. Sich täglich neu darauf einzustellen, Bewusstheit darüber zu haben und Tatkräftig bleiben hilft. Alles andere ist Kampf mit Windmühlen. Inspect & Adapt.

    Go for it.
    Patrick

  7. @bartlog

    Lieber Eberhard

    Ein schöner Beitrag – wie immer lesens- und nachdenkenswert.
    Besonders gefällt mir die Interpretation der Redukation als (überlebenswichtige) Filterung.

    Ein weiterer Gedanke von mir dazu:
    Wenn auf komplexe Situationen (Probleme, Projekte) mit immer komplizierteren Werkzeugen (Management, Prozesse, Methoden) geantwortet wird, dann steckt da doch schon ein Denkfehler, oder?
    Ist es eventuell genau umgekehrt: je komplexer das Problem, desto simpler müssen die Werkzeuge zur Lösung sein, um auf das Unplanbare flexibel reagieren zu können?

    Ein spannendes Thema, das uns im nächsten Jahr noch viel beschäftigen wird, dieses „Komplexität“ 😉

    Lieben Gruß aus Berlin/
    Heiko

  8. Holger Zimmermann

    Lieber Eberhard,

    in der Tat sollten wir manches Mal die Finger von den Dingen lassen. Denn zu nutzbringenden Projekten gehört es auch, vorab zu filtern. Wenn wir dann gestartet sind, lohnen sich aus meiner Überzeugung die Fragen: „Was ist der Kern des Vorhabens, das Wesentliche?“ und „Wie können wir das einfacher machen?“

    Diese Denkschleife wird vorab meist als Zeitverschwendung kommentiert. Nach getaner Arbeit zeigt sich jedoch meist ein anderes Bild, schließlich hat man sich mit wenig Aufwand sehr viele mühevolle Arbeit erspart.

    Mit den besten Grüßen
    Holger

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