Politik, Teamgeist und Projektarbeit

Durch | 15. Juni 2010

Politiker fordert mehr Teamgeist in der Regierung.

Dieser Satz ist einer Schlagzeile meiner Tageszeitung entnommen. Eine Regierung, die gemeinsam voller Teamgeist arbeitet – das ist eine schöne Vorstellung. Die aktuellen Berliner Regierungsgeschäfte scheinen davon jedoch weit entfernt zu sein. Teamgeist lässt sich aber nicht einfordern. Teamgeist muss wachsen. Der Samen für den Teamgeist ist eine gemeinsame Vision. Möglicherweise fehlt es genau daran. Ich sehe mich, wenn ich mich in die Lage der Regierung versetze, nicht in der Lage eine kurz formulierte Vision für die Regierungsarbeit der nächsten Jahre zu formulieren. Ich befürchte manchem Regierungsangehörigen geht es ähnlich.

Keine Teamarbeit ohne Vision! Und was hat das mit Projekten zu tun?

Dass unklare Ziele einen gewichtigen Misserfolgsfaktor darstellen, ist unbestritten. Ãœber den konkreten Zielen oder Anforderungen steht aber noch die Vision. Auch Projekte brauchen Visionen. Eine kurze Kontrollfrage lautet: „Warum machen wir das Projekt?“ Die Antwort auf diese Frage sollte von allen Mitarbeitern ohne zu zögern kurz und prägnant beantwortet werden können. Es bleibt noch anzumerken, dass sich die Antworten ähneln sollten. Wenn bei der Frage nach dem „Warum“ schon Differenzen bestehen, werden sich bei der Ermittlung der konkreten Anforderungen zwingend Widersprüche ergeben. Damit schließt sich der Kreis zur Politik 😉 Widersprüchliche Maßnahmen haben derzeit Hochkonjunktur.

Ein Tipp zum Schluss: Es lohnt sich die Frage nach dem „Warum“ explizit zu stellen und ggf. einen Konsens herzustellen. Damit lassen sich viele Missverständnisse vermeiden.

7 Gedanken an “Politik, Teamgeist und Projektarbeit

  1. Pingback: Deutsche Presse Net » projekt (B)LOG » Politik, Teamgeist und Projektarbeit » By Dr. Eberhard Huber

  2. Dr. Eberhard Huber Beitragsautor

    Hallo Gernot, willkommen an Bord – hallo Gebhard. Jetzt liegen viele Gedanken bei sammen. Ich antworte mal in einem Rutsch zumal ich zwischen der Vision und dem Sinn einen Zusammenhang sehe. Die Aussage

    Im ersten Ziele-Modell wird ein Plan erfüllt im zweiten wird gearbeitet und geschaut, ob die Arbeit noch Sinn macht.

    bzgl. der starren und flexiblen Ziele gefällt mir sehr gut.

    Dass Visionen längerfrstig und orientierungsgebend sind, sehe ich auch so, aus einer guten Vision leiten sich ggf. viele Projekte mit unterschiedlichen Zielen ab. Zur Arbeitsthese … niedergeschrieben bedeutet für mich nicht, dass es bis ins letzte ausformuliert ist und dass man sich darauf berufen kann (im Sinne eines Vertrages). Eine Vision muss m.E. aber zum Teil ausgesprochen (oder geschrieben) werden sonst kann sich die Gruppe nicht identifizieren. Am ausgesprochenen Kern können die individuellen Teile der Vision(en) andocken und wachsen. Wenn der ausgesprochene Teil zu klein ist kann der gemeinsame Nenner „trivial“ werden, weil sich die Visionen der einzelnen zu sehr unterscheiden. Mir fällt da nochmal das Meer und ein Film ein. In „Local Hero“ gibt es zu Beginn drei Protagonisten, die sich am Strand / Meer aufhalten. Der eine will in seiner Hütte sitzen und den Strand bewahren, die zweite will ein Institut für Meeresbiologie, der dritte will einen Ölverladehafen bauen. Für diese drei ist die Vision „Wir wollen ans Meer“ nicht tragend, da hätte es noch eines Nebensatzes bedurft. Mit dem Gedanken von Gernot … erst mit einem Nebensatz „weil wir die Natur lieben“ entsteht Sinn. Mit dem Nebensatz könnten nur noch zwei der drei Akteure die Vision mittragen. Das ist der Punkt an dem (auch im echten Leben) die Auseinandersetzung beginnt … oft ist es doch so, dass im ersten Moment der Gedanke an die gemeinsame Vision alles beseelt, bei der Gestaltung des „Wie“ stellt sich dann heraus, dass teilweise in verschiedene Richtungen gearbeitet wird. Dann gilt es zu klären und zu verhandeln um einen echten gemeinsamen Kern zu finden.

    Ãœber das Schreiben ist mir noch ein Beispiel eingefallen. Es gibt in Deutschland zumindst zwei Textilunternehmen, die die Vision haben in Deutschland zu produzieren und dennoch faire Löhne zu zahlen (trigema und manomama). In dieser Hinsicht haben beide Unternehmen sehr ähnliche Visionen, beim zweiten Blick unterscheiden sich die Unternehmen dann doch sehr stark, auch die Kultur der Firmen ist so wie sie sich nach außen darstellt sehr unterschiedlich. Diese Unterscheide stecken gewissermaßen in den Nebensätzen der Visionen.

  3. Gernot Deutschmann

    Hallo miteinander,

    ich finde das eine spannende Diskussion, in die ich mich jetzt einfach einbringen muss, weil diese Thematik auch einen wesentlichen Teil meiner Leidenschaft ausmacht.

    Die bisherige Diskussion ist um die Begriffe Vision, Ziele und flexible Ziele gekreist. Ich gebe Gebhard mit seiner Kritik an Visionen recht, wenn Visionen als starre, auf direktem Wege erreichbare Ziele verstanden werden. Vision würde ich so interpretiert als starre, mit möglichst geringem Ressourcenaufwand zu erreichenden Zielzustand verstehen.

    Eine mögliches anderes Verständnis hat Gebhard mit den flexiblen Zielen angedeutet. Ãœbertragen auf Visionen bedeutet dieses Verständnis die Auseinandersetzung und die Beantwortung der Frage nach dem „Warum“. Ich nenne diese Frage nach dem „Warum“ einfach den Sinn. Sinn ist wortgeschichtlich betrachtet ein sehr starkes Wort und kommt vom Althochdeutschen „sind“ – „Gang, Reise, Weg“. Dazu gehört auch das lateinische „sentire“ – fühlen, wahrnehmen.

    Wenn wir jetzt Vision im Sinne von Sinn (:-)) verstehen, sprich als offene und von allen Beteiligten zu beantwortende Frage nach dem „Warum“ verstehen, können wir auch den berechtigten Einwand von Gebhard, dass jeder seine individuelle Sicht, sein individuelles Verständnis hat zum positiven wenden.

    Einfach ausgedrückt, wenn der übergeordnete Sinn klar ist, kann jeder Beteiligte in seiner Eigen-Art einen Beitrag dazu leisten, diesen Sinn zum Leben zu erwecken (ist jetzt etwas kitschig formuliert), sofern er erklären kann, wie dieser Beitrag den Sinn unterstützt.

    Ich bin bei Eberhard, wenn er meint, dass Projekte ohne einer Vision, in meiner Sprache ohne einen klar formulierten Sinn, wenn das Warum nicht klar ist, kaum bis gar nicht zu managen sind. Gleichzeitg kann ich dem Argument von Gebhard, dass er kein Projekt mit einer klaren Vision kennt, die alle Projektbeteiligten teilen, auch nur beistimmen. Ich ziehe daraus aber eine andere Schlussfolgerung. Ich denke, dass sich die meisten Unternehmen in oder Projekten gar nicht die Arbeit machen, den Sinn eines Projektes mindestens mit dem Kern-Team zu beschreiben. Das „Warum starten wir das Projekt“ scheint so selbstverständlich, so dass man sich sofort auf das Wie stürzen kann. Sowohl auf das „Wie soll es aussehen“ als auch auf das „Wie machen wir das“. Der Methodenkoffer des klassichen Projektmanagements lädt auch geradezu dazu ein, sich möglichst schnell auf das „Wie“ zu stürzen und diese in starre Ziele und/oder Visionen zu packen.

    bin schon gespannt, wie die Diskussion weiter geht, gernot

  4. Gebhard Borck

    Hallo Eberhard,

    danke für Deine ausführliche Antwort!

    Ja, es ist eine knifflige Geschichte das mit der Vision, der Identität, dem überein kommen, der Ausgrenzung etc..

    Ich würde mich freuen, wenn es auch noch andere Stimmen gäbe …

    Bis dahin finde ich den Ausdruck „starre Vision“ spannend. Was bedeutet es für eine Vision, wenn sie nicht mehr starr ist, aufgrund von welchen Rahmenbedingungen darf sie sich dann anpassen? Führungs-Willkür, Mehrheitsentscheid …?

    Ich kenne ein Szenario aus dem Bereich Ziele.
    Typischer Ist-Zustand – starre aber veränderbare Ziele:
    Es werden feste Ziele gesetzt (etwa. Projekt wird umgesetzt bis zum 15.12.2010 mit einem Budget von 150.000 EUR), diese werden alle Woche oder jeden Monat überprüft und nachverhandelt (ge-reviewed). Am Ende hat man den Termin um zwei Jahre und das Budget um 300% überschritten.

    Alternativ dazu – flexible Ziele:
    Ein Projekt soll uns im Ergebnis einen klar formulierbaren Vorsprung vor unseren Wettbewerbern bieten. Damit wir wissen, ob das eintritt, schauen wir uns regelmäßig (jede Woche/ jeden Monat) die dafür wichtigen Zahlen beim Wettbewerber an und schätzen immer wieder neu ab, ob sich die Weiterarbeit am Projekt noch lohnt. Sind wir davon überzeugt, machen wir weiter, wenn nicht, hören wir auf, denn jeder weiter investierete EUR wäre Verschwendung.

    Der Unterschied:
    Im ersten Ziele-Modell wird ein Plan erfüllt im zweiten wird gearbeitet und geschaut, ob die Arbeit noch Sinn macht.

    Bei einer Vision bin ich mir nicht sicher, ob das genauso gut geht wie bei Zielen …

    Nach wie vor tendiere ich eher zur Annahme, dass Visionen sehr individuell sind. Das stellt Annahmen wie diese:
    – Vision ist eine langfristige Orientierung und
    – Vision hält die Gruppe zusammen,
    denke ich, in Frage.

    Meine Arbeitsthese: Der Ruf nach einer niedergeschriebenen Vision, auf die man sich berufen kann, ist ein Irrweg.

    Gruß
    Gebhard

  5. Dr. Eberhard Huber Beitragsautor

    Hallo Gebhard,

    anbei nun eine ausführlichere Antwort.

    Ja, Identität ist vielschichtig und individuell. Sie setzt sich aus unterschiedlichen Bausteinen zusammen. In einem Vortrag habe ich mal die folgende Formulierung verwendet.

    „Der Mensch lebt im Spannungsfeld verschiedener Kulturen (Regionale, Familie, Firma, Projekte, Freizeit, …), je kompatibler und widerspruchsfreier die Kulturen, sind desto gesünder für den Menschen.“

    Jede(r) hat das bestreben beim Ausgestalten einer Vision (wie in Deinem Beispiel) sich bemühen eine Vision zu entwickeln, die zu seinen / ihren Identitäten passt oder ggf. diese zielbewusst weiter entwickelt. Du hast damit recht, dass diese Visionen nicht identisch bzw. vollständig gemeinsam sein können, aber wie schon gesagt sie können kompatibel sein und es lässt sich eine übergeordnete Vision formulieren. Gesetzt den Fall eine übergeordnete gemeinsame Vision lässt sich formulieren so heißt das noch nicht, dass alle in gleichem Maße dahinterstehen. Einen Teil ist begeistert, einige finden Sie gut, ein anderer Teil kann damit leben und wenige sind dagegen. Wie fällt dann die Entscheidung die Vision wahr werden zu lassen … wie gehen wir mit dem Außenseiter um?

    Ich denke wir haben beide genügend Erfahrung in der Moderation von Entscheidungsprozessen um zu wissen, dass es darauf keine eindeutige Antwort gibt. So erstrebenswert der Wunsch nach Harmonie und gemeinsam getragenem Konsens auch sein mag – es ist ein Wunsch, der sich nicht immer realisieren lässt. Machen wir uns nichts vor es gibt auch Fälle bei denen nicht alle mitkönnen? Brutal formuliert muss ggf. derjenige der nicht mit kann seine Identität in einem anderen Kontext realisieren. Es ist schon einige Jahre her, als ich noch als Führungskraft in einem größeren Unternehmen bei der ich das neue (nach einer Fusion) auf absoluter Loyalität, Kontrolle und Disziplin basierende Führungsverständnis nicht mehr mittragen konnte. Im Führungskreis war ich der Außenseiter … irgendwann musste ich die Konsequenzen ziehen und gehen.

    In diesem genannten Unternehmen lautete die Vision gewissermaßen. „Wir wollen eine straffe, loyale und disziplinierte Organisation. Entscheidungen von oben werden nicht in Frage gestellt.“ Diejenigen, die die Vision nicht teilen konnten sind (wurden) gegangen, eine starre Vision selektiert gewissermaßen. Damit komme ich zu Deiner Frage. Inwieweit eine Vision Beginn der Unterdrückung und Ausgrenzung ist liegt m.E. daran ob die Vision prinzipiell veränderbar ist oder als fixer Rahmen vorgegeben ist.

    P.S. ich hätte auch eine anderes Beispiel nennen können in dem ein Unternehmen von einer Loyalitätsführung zu einer mitbestimmten Führung umgebaut werden sollte. Dort wurde ebenfalls mit starren Visionen operiert, dementsprechend gab es Reibereien und letztendlich ein Scheitern der „gut gemeinten“ Bemühungen.

    viele Grüße Eberhard

  6. Dr. Eberhard Huber Beitragsautor

    Hallo Gebhard,

    eine kurze Antwort vorab, ausführliche kommt später. Ich habe schon Projekte erlebt in denen es eine gemeinsame Vision gab. Die individuellen (und identitätstiftenden) Ziele der Menschen sind und die individuellen Interpretationen der Vision sollten kompatibel zur Gesmatvision sein. Wenn hier Widersprüche bestehen, dann beginnt es mit Sicherheit zu „knirschen“.

    Wie gesagt, ich melde mich später noch mal ausführlicher.

    viele Grüße Eberhard

  7. Gebhard Borck

    Hallo Eberhard,

    danke wieder einmal für den Beitrag. Gleich vorneweg, was jetzt kommt ist von mir noch nicht zu Ende gedacht …

    Das es eine gemeinsame Vision für Projekte braucht ist, denke ich, allgemein anderkannt und mit Saint-Exupéry und seinem Schiff-Spruch beinahe schon zur Polemik verkommen. Wenn ich empirisch an die Sache ran gehe muss ich allerdings zugeben, dass mir eine gemeinsame Vision noch nie, nie, nie begegnet ist.
    In einem Transformationsprojekt saß ich einmal mit einer Gruppe von sieben Menschen zusammen und stellte ganz explizit die Warum-Frage. Das Ergebnis: Alle sieben wollten die Veränderung, alle sieben hatten einen anderen Grund warum und eine andere Vorstellung davon, wohin es gehen würde.
    In diesem Projekt wurde viel Zeit, Arbeit und Kreativität in Aktionen gesteckt, um eine gemeinsame Vision gemeinsam zu erarbeiten, allen offen zu legen, alle damit zu erreichen usw.. Sprich alles, was Du einforderst.

    Das Resultat war, dass dennoch jeder Mitarbeiter eine eigene Vorstellung von der Vision und den Zielen hatte, die zu erreichen waren.

    Navid Kermani hat ein Buch (Wer ist wir) über Identität geschrieben und kommt darin zum Schluss, dass jeder Mensch mehrere Identitäten hat und lebt, und dass Identität schlussendlich immer etwas individuelles ist.
    Weiterhin hält er fest, dass eine Forderung nach DER deutschen, islamischen, christlichen, amerikanischen, lybischen, mathematische, bilogischen, jungen, alten, integrierten oder wie auch immer Identität Fundamentalismus, Streit, Rechthaberei und am Ende des Tages gewaltsamen Konflikten zur Folge hat.

    Da Vision und die Frage nach dem Warum sehr viel mit der menschlichen Identität zu tun haben und in meiner empirischen Wahrnehmung immer individuell, sprich subjektiv geprägt und interpretiert sind – ich glaube eine objektive Vision oder einen objektiven Beweggrund gibt es nicht – ist die von Dir vorgeschlagene Lösung ggf. das Problem.

    Meine Fragen:
    kann es eine klare gemeinsame Vision überhaupt geben?
    Ist eine gemeinsame Vision nicht bereits die Ausgrenzung derer, die wertvoll sein können, die Vision allerdings so nicht teilen?
    Führt der Prozess, eine gemeinsame präzise Vision zu formulieren, der erste Schritt in Richtung Unterdrückung und Gewalt im Namen eines höheren Ziels?

    Ich würde mich freuen, wenn es dazu hier im Forum eine Diskussion gäbe!

    Gruß
    Gebhard

    PS: Saint-Exupérys Sehnsucht nach dem Meer ist sehr unpräzise, kann von verschiedenen Menschen auf unterschiedliche Weise interpretiert, gefühlt und gewollt werden. Und vielleicht kommen sie gerade deshalb zusammen und arbeiten gemeinsam zielorientiert, weil jeder daran glaubt, dass er seine persönliche Vision damit erfüllen kann.

    PPS: meine Sehnsucht ist eine Welt des sinnvollen Wirtschaftens, in der meine Kinder eine gute Chance haben als der Mensch der sie sind geliebt und anerkannt zu sein, ihre Talente erkannt und gewollt werden, sie Raum haben das auszuprobieren, von dem nicht klar ist, ob sie es können und in der sie sich keine sorgen um ihre materielle Existenz machen müssen. Ich glaube das ist möglich, treffe täglich Menschen, die mir zwar Recht geben, in dem was zu ändern ist, allerdings immer wieder den Glaubenssatz äußern. Das ist nicht möglich weil:
    einer alleine zu wenige sind.
    damit kein Geld zu verdienen ist.
    es jetzt gerade zu viel Aufmerksamkeit bräuchte.
    die Konsequenzen zu weitreichend sind.

    Wie lange wollen wir uns noch vorgaukeln, dass es wirklich so weiter gehen kann?

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