An mehreren Stellen wird zurzeit über obige Begriffe diskutiert. Auf openPM steht die Abgrenzung zwischen Prozess und Projekt im Fokus, bei Stefan Hagen geht es um große, komplexe Vorhaben, die jenseits eines Projekthorizontes liegen. Pauschalisierungen wie »Alles ist ein Projekt«, »Es gibt keine Projekte«, »Alles ist ein Prozess« helfen nicht weiter. Ein kritischer Blick auf das zu bewältigende Vorhaben und eine ordentliche Verwendung von Begriffen ermöglichen hingegen einen sinnvollen Einsatz von Methoden.
Ein triviales Beispiel:
Wenn ich zwei Holzstücke verbinden will, hängt die Wahl des Werkzeugs von der Art der Verbindungselemente ab. Werden die Bretter vernagelt, verschraubt oder verleimt? Je nach dem wäre ein Hammer, ein Schraubendreher bzw. ein Pinsel nebst Klemme erste Wahl. Sicher – ein Nagel kann auch mit dem Griff des Schraubendrehers eingeschlagen werden – optimal ist das aber nicht.
Ein etwas besseres Beispiel aus der Welt der Automobil-Produktion:
Wenn ich ein Mittelklasse-Fahrzeug kaufen möchte, kann ich einen Katalog, eine Ausstattungsliste und eine Preisliste einsehen und mein neues Auto konfigurieren und bestellen. Der Preis ist festgelegt, der Liefertermin ist bekannt und wird in der Regel eingehalten. Das ist möglich, weil Produktion und Lieferung eine Kette von wohldefinierten Prozessen sind, die in sehr ähnlicher Weise vielfach und reproduzierbar ablaufen.
In der automobilen Luxusklasse wird das schwieriger. Wenn sich die Extrawünsche auf eine ausgewählte Maserung des Holzes am Armaturenbrett, eine bestimmte Narbung des Sitzleders, anatomische Anpassung des Sitzes und vieles mehr erstrecken, bekommt der Prozess allmählich Projektcharakter. Es ist z.B. zu Beginn unklar, ob das speziell genarbte Lederstück in ausreichender Größe für den noch nicht vermessenen Sitz vorhanden ist. Es wird geplant, geschätzt und gehofft, dass der anvisierte Liefertermin (Plan) eingehalten wird.
Komplex und noch schlechter planbar wird es, wenn der Kunde den Hersteller wählt, aber eine Individualfertigung eines Einzelstückes verlangt, das noch nicht einmal in Konzeptform existiert. Es soll ein »Mercedes SLR« mit Elektroantrieb werden, der ähnliche Fahrleistungen wie sein 600 PS starkes Vorbild mit Verbrennungsmotor hat. Das ist kein fiktives Beispiel. Dieser Elektro-SLR wird inzwischen gebaut. Er besitzt für jedes Rad einen eigenen Motor, eine gänzlich neue Fahrwerksteuerung und Bremsanlage und vieles mehr, was es zuvor noch nie gab. Die Sinnhaftigkeit solcher Elektrofahrzeuge möchte ich an dieser Stelle nicht diskutieren. Es geht mir darum, dass der Weg von der Idee bis zur ersten Fahrt lang, einmalig, komplex und nahezu unplanbar war. Auf diesem Weg mag es kurze Prozesselemente und Teilprojekte gegeben haben. Gesamt betrachtet ist es aber unsinnig von einem Prozess oder EINEM Projekt zu sprechen.
Merke! Selbst im produzierenden Gewerbe ist nicht alles Prozess und »Nicht alles was neu ist lässt sich angemessen als Projekt betrachten«.
Damit schließt sich der Kreis zur Ãœberschrift: »Prozess, Projekt, komplex …«. Die Ergänzung lautet »… und die Kunst der Unterscheidung«. Hierzu habe ich meine schon früher beschriebenen Projekt-Kriterien ergänzt. Bei der Anwendung der Kriterien setze ich voraus, dass es Rollen wie Auftraggeber und Lieferant und eine nennenswerte Anzahl von Beteiligten gibt. Für Ein-Personen-Aufträge lohnt sich m.E. die Diskussion nicht.
Prozess
- Die Arbeitsabläufe sind schon vor Beginn dokumentiert.
- Vorgang wird regelmäßig mit identischen Arbeitsschritten wiederholt.
- Das Arbeitsergebnis ist reproduzierbar.
- Die Definition von Kennzahlen ist möglich.
Projekt
- Das Vorhaben wurde in dieser Form noch nicht durchgeführt.
- Es existiert ein in Worten beschreibbares Ziel bzw. Arbeitsergebnis.
- Es existiert ein Zeithorizont zur Erstellung des Arbeitsergebnisses.
Mehr und komplexer als Projekt
- Ziel und Arbeitsergebnis sind nur grob beschreibbar.
- Zeithorizont ist unabsehbar.
Fortsetzung des Automobil-Beispiels:
Der Bau des Elektro-Super-Sportwagens könnte noch als Serie von Entwicklungsprojekten betrachtet werden. Das Ende der Projektbegriffs ist aber spätestens dann erreicht, wenn angesichts der abnehmenden Öl-Fördermengen das gesamte Unternehmen auf regenerative Antriebskonzepte umgestellt werden soll. Derartig tief greifende Veränderungen stehen in den nächsten Jahren nicht nur in der Automobilbranche an.
Fortsetzung folgt.
Hallo Holger,
*hmm Gute Frage! Ich schließe mich Deiner Meinung an. Der Routine-Prozess liefert eine genau definierte Art und Anzahl von Artefakten. Wenn sich die Notwendigkeit neuer Artefakte ergibt steht eine Änderung des Prozesses an. Die Änderung kann dann im Rahmen eines Projektes erarbeitet werden. Danach kann dann ggf. das Wissen aus dem Projekt in den Prozess integriert werden
LG Eberhard
Lieber Eberhard,
immer wieder nehme ich aus Deinen Artikeln etwas mit, auch wenn ich behaupten darf, schon das ein oder andere Projekt von innen gesehen zu haben. 🙂 Danke dafür!
Was die Definition von (Routine-)Prozessen betrifft, kaue ich immer wieder darauf herum, ob die vorab vorhandene Beschreibung des Prozesses sämtliche lieferbaren Varianten bzw. Variationen des Produkts umfassen muss, um als Routineprozess gelten zu können. Ich komme zum Schluss, dass das nötig und sinnvoll für eine Abgrenzung ist. Mich würde Deine Meinung dazu interessieren.
Beste Grüße
Holger