Die Ãœberschrift ist zugleich der Titel eines Vortrags, den ich am 27. Juni während des IF Forums gehalten haben. Resilienz / Effizient … zuerst einmal handelt es sich um zwei Schlagworte, die möglicherweise im Widerspruch stehen. Auf jeden Fall können sie zum Nachdenken anregen – genau das ist die Absicht des Vortrags.
Bevor sich ein Gedankenfaden entwickeln kann, muss der Anfangspunkt klar sein, in diesem Sinne lohnt es die Begriffe zu erfassen. Effizienz ist dabei der deutlich prominentere Begriff. Google listet für Effizienz 10-mal mehr Treffer auf wie für Resilienz. ((Ergebnis Google Suche: Resilienz ca. 440.000, Effizienz ca. 4.400.000 Ergebnisse))
Begriffsklärungen
Effizienz ist ein Maß für ein Ergebnis unter Berücksichtigung der eingesetzten (finanziellen) Mittel. Ein Streben nach Effizienz ist per se nichts Schlechtes. Es ist sinnvoll ein Feuer mit (kostengünstigem) Wasser statt (teurem) Champagner zu löschen. Effektivität ist etwas anderes, hier geht es mehr um den Zielerreichungsgrad unabhängig von den eingesetzten Mitteln.
Resilienz stammt aus dem Lateinischen und bedeutet wörtlich zurückspringen bzw. abprallen. Sie beschreibt die Toleranz oder Robustheit eines Systems gegenüber Störungen. Der Begriff wird auch in der Psychologie verwendet, hier beschreibt die Resilienz eine Robustheit gegen Krisen. Ein resilienter Charakter ist gefestigt und durch Lebenskrisen nur schwer aus der Bahn zu werfen.
Kontext
Im Folgenden möchte ich die Begriffe in einem ganz bestimmten Kontext verwenden, zuerst aber noch den Begriff der Unternehmung einführen. Ich bin die Diskussionen über die Definition von Projekten überdrüssig. Es gibt (keine) Projekte, Projekte sind Teile von Unternehmen, Projekte sind wie kleine Unternehmen, ein Unternehmen ist ein Projekt … alle Varianten werden genannt und durcheinander geworfen. Deshalb verwende ich bewusst den Begriff der Unternehmung. Eine Unternehmung sei ein Vorhaben kürzerer oder längerer Dauer, an dem mehr als 2 Menschen beteiligt sind und das mehr oder minder schnell veränderlichen Zielen folgt. Die Betrachtung von Resilienz und Effizienz macht sowohl in sehr kleinen, als auch sehr großen Unternehmungen Sinn.
Der Sündenfall unserer Zeit
Die folgenden Sätze sind meine persönliche Ãœberzeugung. Die Ãœberbetonung der Effizienz, die inzwischen das reine Wirtschaftsleben verlassen hat, ist für mich der moderne Sündenfall. Kostenberechnung, Zeitschlüssel Effizienz-Messungen haben längst Krankenhäuser, Kindergärten und Familien erreicht und durchdrungen. Selbst Menschen an sich werden unter diesem Gesichtspunkt bewertet. Wenn Begriffe wie »totes Humankapital« salonfähig geworden sind, ist es um die Menschlichkeit schlecht bestellt. Der Effizienzwahn tötet die Menschen. Dieser Satz hat die Ebene der Metapher schon verlassen. Hier ist meine persönliche Motivation verborgen über das Begriffspaar »Resilienz – Effizienz« zu sprechen und für ein Zurückdrehen der Spirale zu plädieren. Um den Grund des persönlichen Anliegens wieder zu verlassen, möchte ich mich dem Thema nochmals auf einem weniger subjektiven Pfad mittels zwei Fragen annähern.
Frage 1: Müssen Unternehmungen (und Menschen) heute resilient sein?
Antwort: »Ja« Die Zeiten der Pseudostabilität sind vorbei. Rohstoffe und Ressourcen sind nicht (mehr) unbegrenzt verfügbar. Produktlebensdauern werden immer kürzer. Ein Nachfolgeprodukt erscheint auf dem Markt bevor die gesetzliche Garantie des Vorgängers abgelaufen ist. Projektideen sterben bevor das Entwicklungsprojekt zu Ende gekommen ist. Das Leben einer Unternehmung wird zu einer Abfolge von Störungen, die verkraftet werden müssen. Ständige Änderungen im Arbeitsumfeld, lebenslanges Lernen setzt die Menschen zunehmend unter Druck, Ruhephasen werden immer kürzer – auch die Menschen müssen gezwungenermaßen immer resilienter werden.
Frage 2: Können effiziente Unternehmen resilient sein?
Diese Frage lässt sich nicht ganz eindeutig mit »NEIN« beantworten. Zumindest besteht ein großer Gegensatz. Eine Unternehmung, die auf höchste Effizienz getrimmt wurde, verliert Resilienz. Durch Entfernen von Sicherheiten und Reserven werden Unternehmungen immer anfälliger. Selbstheilungskräfte werden verbraucht. Kleine Störungen werden leicht zur Krise.
Was zeichnet eine resiliente Unternehmung aus?
Die erste Antwort ist leicht: »RESERVEN«. Nicht umsonst gibt es den Begriff der Sicherheitsreserve. Eine Reserve ermöglicht eine Reaktion auf eine Störung. Sei es die Krankheit eines Mitarbeiters oder der Ausfall eines technischen Geräts. Wenn alle Mitarbeiter zu mehr als 100% ausgelastet sind, alle Ersatzgeräte aus Kostengründen abgeschafft wurden, wird die kleine Störung zum Problem. Ein plakatives Beispiel hierfür ist der Hauptbahnhof in Mainz, der im letzten Sommer nicht mehr von ICE Zügen angefahren wurde, weil die Krankheit eines Mitarbeiters den Betrieb zu stark beeinträchtigte.
Die zweite Antwort ist schwieriger. Eine Unternehmung profitiert mittelbar von vielen resilienten Menschen, sie stützt sich auf selbstbewusste Menschen voller Selbstvertrauen mit hoher Kontrollüberzeugung.
Die dritte Antwort, die zwischen den beiden ersten schwebt ist Agilität. Das Heilsversprechen der Agilität ist die Möglichkeit schnell reagieren zu können. Die Antwort, warum die Agilität zwischen den Reserven und den Menschen schwebt, bleibe ich noch einen Abschnitt lang schuldig.
Resilienz fällt nicht vom Himmel
Die oben genannten Eigenschaften wie Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen bzw. Kontrollüberzeugung sind wünschenswert. Diese Eigenschaften fallen aber nicht vom Himmel oder sind alleine angeborene Merkmale. Sie unterliegen vielmehr einer Veränderung, sie entwickeln sich, können im richtigen Umfeld wachsen. Selbstvertrauen kann wachsen, wenn man die Menschen nur lässt. Ein geringer Vertrauensvorschuss und eine Prise selbstverantwortetes Arbeiten wirkt manchmal Wunder. Tayloristisches Mikromanagement behindert und reduziert das Selbstvertrauen. ((Die Psychologie ist in der Definition von Persönlichkeitsmerkmalen und deren Plastizität uneins. Aktuelle Langzeitstudien im beruflichen Weiterbildungsumfeld zeigen jedoch, dass selbst oft als stabil betrachtete Merkmale wie Kontrollüberzeugung einem Wandel unterliegen.))
Und wie hängt das mit der Agilität zusammen. Agile Unternehmungen (Teams, Projekte, …) funktionieren umso besser je selbstverantworteter die Menschen arbeiten können und dürfen. Insofern sind agile Ansätze ein guter Nährboden auf dem sich Posititves entwickeln kann. Hier könnte man zweifelnd die Henne-Ei-Frage ins Feld führen. Dieser lässt sich entgegen, dass es sich mehr um ein zyklische Steigbügel-Prinzip handelt, es also mehr ein selbstbefruchtender Prozess ist ((Der Henne Ei-Frage bin ich im Zusammenhang mti der Korrelation von Teamqualität und Projekterfolg an anderer Stelle schon nachgegangen, siehe Folie 8 des dort verlinkten Vortrags.))
Mein Plädoyer
ist ganz einfach. Lasst einen Teil der Effizienz weg und lasst die Resilienz wachsen. Ist es wirklich so einfach? Ich denke ja. Es bedarf nicht viel um Menschen in Arbeitswelten eine selbstverantwortliche Entwicklung und wachsendes Selbstvertrauen zu ermöglichen. Ganz umsonst – im häufigen Sinn des Wortes – ist das aber nicht. Einen Teil der Effizienz und des Profits muss man dafür aufgeben, dafür hat man länger etwas davon.
Sehr schöner Beitrag. Resilienz kostet eine Menge Energie und damit Zeit. Manchmal macht es Sinn zu Gunsten der Energie etwas mehr Zeit in Effektivität zu stecken. Viele Unternehmen stecken durch den Effizienzwahn in der Falle, nicht mehr wirklich effektiv zu arbeiten.
Resilienz ist der Gegenpol fehlender Effektivität. Sie ist zwar gut und wichtig, aber auch hier sollten beide Gegenpole sich die Waage halten.