Nachdem mein letzter Beitrag zum Thema Selbstorganisation teilweise ein wenig Verwirrung gestiftet hat, möchte ich noch einige Gedanken ergänzen. Ich hoffe, dass meine Kernaussage dadurch deutlicher wird.
Die psychologische Grundlage
Wenn Menschen in überschaubaren Gruppen zusammenarbeiten entsteht Gruppendynamik. Im Bemühen um Anerkennung bzw. der Suche nach einer Rolle werden mehr oder minder heftig verschiedene Phasen der Gruppenentwicklung durchlaufen. Am Ende steht ein von der Gruppe selbst gestaltetes Führungs- / Leitungs-System. Die Gruppe hat sich selbst organisiert. Dieses Leitungssystem ist nicht statisch, sondern wird sich mit Änderungen der Rahmenbedingungen mit verändern. Die Möglichkeit auf neue Rahmenbedingungen mit einer Anpassung der Gruppenstruktur zu reagieren ist eine der herausragenden menschlichen Fähigkeiten.
Ziele und Grenzen
Die Ausbildung der gruppeninternen Struktur hängt wesentlich von den Rahmenbedingungen ab. Sind Handlungsziele und Grenzen vorgegeben und allen bekannt wird sich die (immer vorhandene) Gruppendynamik nicht völlig frei entfalten. Die Gruppe entwickelt sich (leichter) entlang der „Leitplanken“. Ggf. werden sich andere Führungspersönlichkeiten herauskristallisieren wie im unbegrenzten Falle. Die Gruppe organisiert sich wiederum selbst, auch wenn das Ergebnis ein anderes wie im ersten Fall sein wird. Je nach dem ob eine Gruppe die Aufgabe erhält einen Chor zu bilden oder ein Fußballspiel zu bestreiten werden sich andere Führungsstrukturen herausbilden. ((So plakativ und trivial das Beispiel mit Chor vs. Fußball klingen mag, selbst in Software-Entwicklungs-Teams kann eine leichte Veränderung der Zielsetzung erhebliche Verschiebungen im Machtgefüge der Gruppe bewirken.))
Kollektive Effekte
Die bisher genannten Formen der Selbstorganisation haben ihren Antrieb in den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen der beteiligten Menschen und den daraus resultierenden Konflikten. Es gibt aber noch weitere Verhaltensmuster von Gruppen, die sich besser mit der naturwissenschaftlichen Sicht der Selbstorganisation erfassen lassen. Hierbei handelt es sich um kollektive Verhaltensmuster, die mit der ohnehin vorhandenen Gruppendynamik in Wechselwirkung treten.
Mein Punkt
Die Modelle der zuletzt genannten Muster lassen sich nicht auf die psychologische Ebene übertragen. Ich halte diese Ãœbertragung, die immer öfter propagiert wird, für unmenschlich. Wenn in Systemmodellen von Objekten und Containern gesprochen wird, wenn eigentlich Menschen gemeint sind, ist das genauso entlarvend wie die „Humankapital“ Terminologie.
Hallo Peter, danke für Deinen Kommertar. Die Verwirrung durch übertragene Begriffe ist wahrlich ein Fluch. „Selbstorganisation“ wird inzwischen sogar im Zusammenhang mit dem „Self- und Zeitmanagement“ verwendet. „Selbstverwaltung“ gefällt mir als Alternative gut. Das mit den Containern ist ein Ansatz aus den USA, durch Kenntnis und Schulung in einerm Modell soll man in die Lage versetzt werden Gruppen zu steuern. Hermann Haken hat hinsichtlich der Anwendung in soziologischen Systemen eine sehr gesunde Ansicht, dass die Obersvablen sich nicht präziese genaug formulieren lassen um ein Modell zu erstellen
LG Eberhard
Ja, Eberhard, ich denke, ich habe verstanden, was Du meinst. Und weil diese Gruppendynamik, die Du beschreibst, nicht dasselbe wie Selbstorganisation ist, sollte man nicht dieselbe Terminologie verwenden. Ich habe „Selbstmanagement“ oder „Selbstverwaltung“ vorgeschlagen.
Ich stelle zu meinem Bedauern fest, dass Terminologien zunehmend verwischt werden, was immer mehr zu Verwirrungen führt. In einer sonst schon komplexen Welt ist diese Verwischung nicht hilfreich.
Beispielsweise können im agilen Projektmanagement gewisse Parallelen mit der produktionslogistischen Methodologie „Kanban“ gesehen werden. Aber eben nur Parallelen. Wenn nun im agilen PM ebenfalls von Kanban gesprochen wird, ist das unpräzis und vor allem für einen Logistiker verwirrend.
Auf der anderen Seite gibt es durchaus interessante Ansätze, Selbstorganisation auch auf Humansysteme anzuwenden. Dabei braucht keineswegs von Objekten und Containern gesprochen zu werden. Wo hast Du das her? Hermann Haken hat diese Ausdrucksweise wohl kaum verwendet. Ich meine, dass in der einschlägigen Fachliteratur durchwegs von „Individuen“ die Rede ist.
Es gibt ja nicht hier Natur und dort Menschen. Menschen gehören tröstlicherweise ebenso zur Natur, wie Zebras, Ameisen oder Erdbeeren. Und sicher gelten die Ideen der Selbstorganisationstheorie auch für Menschen. Aber wie jede Theorie geht auch die Selbstorganisationstheorie von Voraussetzungen aus, die erfüllt sein müssen, damit die Theorie angewendet werden kann. Kleine Humansysteme lassen diese Voraussetzungen oft vermissen.
Dennoch kann man auch in kleinen Systeme Selbstorganisation sehr gut beobachten. Ihr Zustandekommen ist den Mitgliedern der Gruppe stets unbewusst. Wie Du richtig schreibst, ist Selbstorgansiation eben nicht Gruppendynamik, die durch bewusstes „Bemühen um Anerkennung bzw. der Suche nach einer Rolle“ entsteht. Aber im Bierspiel (8 Teilnehmer) oder in der Ãœbung „Group Juggle“ (15 Teilnehmer), die ich jeweils in PMCamps durchgeführt habe, kann Selbstorganisation in kleinen Humansystemen wunderbar beobachtet werden.