wir sind fast fertig

Durch | 12. Mai 2019

Ich werde zwischenzeitlich immer wieder darauf angesprochen was ich von den Verzögerungen beim Bau des Berliner Flughafens halte. Einen weiteren Anstoß  etwas darüber zu schreiben lieferte mir vor einiger Zeit ein Telefongespräch, dessen Ohrenzeuge ich unfreiwillig wurde. Ein Projektmitarbeiter fragte den anderen: „Wie weit bist Du mit dem Dokument?“ Die Antwort lautete: „Ich habe es fertig gemacht. Abschnitt 6, 7, und 8 fehlen aber noch, Abschnitt 2 ist noch leer. Hinten müsste man auch noch etwas ergänzen.“ Ich übertreibe nicht. Das Gespräch fand genauso statt.

Das fragliche Dokument war offensichtlich noch weit davon entfernt fertig zu sein, dennoch wurde die Frage im ersten Atemzug mit einer Erfolgsmeldung beantwortet. „Ich habe es fertig gemacht.“ Der Satz „Ich habe daran gearbeitet, bin aber noch lange nicht fertig“ hätte die Situation deutlich präziser beschrieben. In einem Statusbericht würde sich allerdings die erste Formulierung deutlich besser machen. Im Sinne der positiven rhetorischen Selbstdarstellung ist es naturgemäß besser mit den vollbrachten Leistungen zu beginnen und die weniger positiven Punkte erst später oder gar nicht mehr zu nennen.

Was hat das mit dem Flughafen in Berlin zu tun?

Projekte in dieser Größenordnung haben in der Regel ein mehrstufiges Berichtswesen. Auf der Basis von Detailberichten werden über mehrere Stufen hinweg komprimierte Berichte erstellt. Wenn jede(r) Beteiligte nach obigem Prinzip seine vollbrachten Taten übertreibt und die Einschränkungen teilweise verschweigt kommt es zu einer fatalen Kettenreaktion. Wenn jede Ebene des Berichtswesens gemäß des Pareto-Prinzips ((siehe Wikipedia: Pareto-Prinzip)) also einer (80/20)% Teilung übertreibt ist schon nach 3 Hierarchie-Ebenen eine halbe Lügengeschichte entstanden. Die Berichte, die bei den Entscheidungsgremien ankommen, sind dann so verfälscht, dass eine rechtzeitige, wirkungsvolle Reaktion auf die zwangsläufig auftretenden Probleme nicht mehr möglich ist.

Die Probleme werden erst bekannt,
wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.

Insofern sehe ich das Problem bei derartigen Projekten nicht im methodischen Bereich sondern in der mangelnden Wahrhaftigkeit der Kommunikation.

Siehe auch: Bauprojekt im alten Ägypten

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6 Gedanken an “wir sind fast fertig

  1. Dr. Eberhard Huber Beitragsautor

    Danke Euch allen für Eure Kommentare.

    @tural … meine Rede, dass das methodische Problem überschätzt wird.

    @Dieter … dass das Pareto-Prinzip für Projekte eigentlich unsinnig ist klar, dennoch wird es machmal bis zum Erbrechen hochgehalten. Ich erinnere mich an ein Projekt in dem wir beide involviert waren. Jenes in dem es um Plastikkärtchen ging, der damalige Sofware-Dienstleister hat mehr als 100% kassiert und keine 80% abgeliefert 😉 Dass der Ãœberbringer der Botschaft häufig geköpft wird ist leider allzu wahr.

    @Stefan … irrwitzigerweise werden die Stichproben selten genommen. Vielleicht auch deshalb weil manche mehr damit beschäftigt sind dafür zu sorgen, dass der schwarze Peter bei einem anderen landet.

    @Klaus … völlig richtig, die Fehler sind da. Je später sie aufgedeckt werden, desto teurer wird es aber.

  2. Klaus Kael

    Mit der Kommunikation ist das soweit schon richtig. Aber wenn solche Projekte, technisch, finanziell und zeitlich, von vorne herein unrealistisch geplant werden, dann würde eine bessere Kommunikation, die Fehler nur früher aufdecken, nicht aber vermeiden!

  3. Stefan Heymann

    Würde es nicht auch zur Aufgabe eines ordentlichen (Projekt-) Managements gehören, die abgegebenen Statusberichte wenigstens stichprobenartig gegenzuprüfen? Wenn die Gefahr besteht, beim Ãœbertreiben erwischt zu werden, dann sinkt auch die Neigung, es zu tun.

  4. Dieter Stadelmaier

    Hallo Eberhrd,

    du hast zwei ganz wesentliche Punkte aufgefriffen:

    Pareto Prinzip: Pareto hat Einkommensverteilungen statistisch betrachtet. 20 % der Bevölkerung besitzen 80% des Vermögens – allerdings gibt es 100 % Bevölkerung und 100 % Vermögen (d.h. 80 % der Bevölkerung besitzen die restlichen 20 % Vermögen).

    M.E. ist es ein Kardinalfehler, diese Verteilung unkritisch auf Projekte zu übertragen, Am ende eines Projektes erwate ich ein zu 100 % fertiges Produkt (Natürlich, vielleciht hab ich die extrateuren unsininngen anforderungen irgendwann rausgeschmissen). Bei materiellen Wirtschaftsgütern gibt es her auch selten eine Diskussion. Niemand würde ein 80 % Auto kaufen; kein Mensch in ein 80% Haus ziehen. Wir brauchen die fehlenden 20 %, auch wenn sie teuer sind.

    Kommunikation: Wenn die Botschaft schlecht ist köpfe den Ãœberbringer. Gilt leider noch immer in vielen Unternehmen. Bemäntelt als Self Commitment oder Zielvorgabe oder was auch immer mich dann dazu treibt, positiv zu reporten und irgendwelche Pseudo-Erfolge zu erzeugen. Dabei wäre es doch viel wichtiger -und effizienter- Fehlentwickluingen frühzeitig zu erkennen. Ist aber wohl eine lange Kette: angefangen bei einem selbst (auch ich werde lieber gelobt als getadelt) über das direkte Umfeld (wer den Schaden hat …) bis hin zu Projekten und Unternehmen. Und wer gibt denn schon gerne zu. dass er ein Projekt vergeigt hat?

  5. tural

    „Insofern sehe ich das Problem bei derartigen Projekten nicht im methodischen Bereich sondern in der mangelnden Wahrhaftigkeit der Kommunikation.“ – Sie haben es auf den Punkt gebracht. Die Abschaffung der Methoden-Sklaverei ist eine fundamentale Herausforderung unserer Zeit: http://www.tural.de/methoden-sklave

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