Dass die Selbstorganisation nicht vom Himmel fällt sondern erarbeitet werden muss, hatte ich schon geschrieben. Arbeit alleine reicht aber nicht, auch die Einstellung muss stimmen. Der Weg zu selbstorganisierten Teams – egal ob man Scrum oder eine andere teamorientierte Arbeitsweise einführt – gelingt nur mit der passenden Einstellung bzw. einen bestimmten Menschenbild.
In einer Diskussion über Führungsstile sagte eine Führungskraft vor kurzem folgenden Satz zu mir: „Das geht alles auch mit Druck“. In gewisser Weise hat er recht, eine Arbeitsgruppe oder Abteilung lässt sich natürlich mit präzisen Handlungsanweisungen, Druck und Drohungen führen. Ob das in Projekten oder bei Entwicklungsarbeiten in denen es auf Kreativität und neue Lösungen ankommt sinnvoll ist, möchte ich jetzt nicht diskutieren. Wichtiger scheint mir die grundlegende Haltung, das Menschenbild, das zu einem solchen Führungsverständnis führt, zu sein. Provozierend formuliert steckt da folgendes Menschenbild dahinter:
- Mitarbeiter wollen nicht arbeiten und müssen permanent angetrieben werden.
- Mitarbeiter sind dümmer als die Führungskraft. Deshalb muss die Führungskraft mit konkreten Anweisungen den Arbeitsfortschritt absichern.
Nicht minder provozierend formuliert lautet die Antithese:
- Mitarbeiter wissen besser als die Führungskraft wie die Probleme zu lösen sind.
- Mitarbeiter sind grundsätzlich interessiert sich für die Firma und ihre Ziele zu engagieren und wollen lieber sinnvoll arbeiten als faulenzen.
Die Wirklichkeit ist ein wenig komplizierter aber irgendwo zwischen diesen Polen bewegt sich die Einstellung gegenüber den Mitarbeitern. So verlockend Produktivitätssteigerungen durch Selbstorganisation auch klingen mögen, mit einem Menschenbild wie dem zuerst formulierten wird es nie ein echtes selbstorganisiertes Team geben. Nur wer daran glaubt, dass das Team im besten Wissen und Gewissen eine Lösung erarbeitet und dann bereit ist diese Lösung mit zu tragen wird die Früchte der Selbstorganisation ernten können. Dieses Mittragen der Lösung – auch wenn sie im ersten Moment nicht der eigenen Präferenz entspricht – ist die Antwort auf die implizite Vertrauensfrage, die das Team regelmäßig stellt. Wer „Selbstorganisation“ nutzen will (z.B. bei einer Einführung von Scrum) muss bereit sein „mitzutragen“ auch dann, wenn die Entscheidung des Teams den Eigeninteressen der Führungskraft zuwider läuft. Es gibt nichts Schlimmeres als mit Worten „ja“ und mit Taten „nein“ zu sagen.
Der Advocatus diaboli fragt nun wie mit politischen Entscheidungen umgegangen werden soll, die ggf. den Entscheidungen des Teams entgegen laufen (könnten). Hier gibt es nur eine Antwort: So früh und so ehrlich wie möglich alle Rahmenbedingungen an das Team kommunizieren. Wenn beispielsweise innerhalb eines Projektes eine Software angeschafft werden muss und auf höherer Ebene hierzu bereits eine Vorentscheidung gefallen ist, muss das Team davon wissen, bevor sie sich selbst mit der Auswahl befassen. Hört sich trivial an ist es aber nicht, ich habe es schon zu oft erlebt, dass wohl überlegte Lösungen mit dem Hinweis auf bereits vorgefasste Entscheidungen wieder gekippt wurden. Kein Team arbeitet gerne für den Mülleimer und eine solche Entscheidung wird von den Mitarbeitern nahezu zwangsläufig als Missachtung Ihrer Arbeit(szeit) betrachtet.
Ohne offene und ehrliche Kommunikation und einer gehörigen Portion Vertrauen in die Mitarbeiter kann Selbstorganisation nicht wachsen.
Selbstverständlich geht es mir hier nur um Druck im Sinne einer Herausforderung. Denn Mikromanagement zu verhindern ist für mich eben gerade eines der Ziele eines selbstorganisierten Teams (und eine der größten Errungenschaften)!
Gute Ergänzung, Druck UND Freiheit kann funktionieren. Man müsste vielleicht differenzieren: Druck im Sinne von Herausforderung für das Team vs. Druck in Form von Mikromanagement.
100% Zustimmung!
Nur eines möchte in noch anmerken:
ich denke, dass Druck von außen auch bei einem selbstorganisierten Team nicht zwangsläufig schädlich sein muss. Richtig eingesetzt kann es, denke ich, sogar den Teambildungsprozess beschleunigen.
So schreiben schon Takeuchi und Nonaka in ihrem Paper von 1984, dass der damalige Vorstand von Honda dem Entwicklungsteam des ersten Civic sehr „ambitionierte“ Amforderungen an das Produkt genannt hat (und dadurch nicht unerheblich Druck aufgebaut).
Im Gegenzug hat er dem Team jedoch auch fast völlige Freiheit bei der Umsetzung gewährt. Und das Team war dann auch erfolgreich…
Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Druck an sich ja, aber nur wenn die Freiheit im selben Maße steigt wie der Druck!