Agil, digitaler Wirbel oder des Kaisers neue Kleider

Durch | 28. Februar 2019

Nachstehender Text ist ein pointierter Beitrag zur Blogparade des Projekt-Magazins. Im Aufruf stehen die folgenden Sätze:

„Wir arbeiten jetzt agil / digital / selbstorganisiert!“

Mehr Erfolg durch neue Freiheiten im Projekt oder viel Wirbel um nichts?

Die Überschrift verrät schon, dass ich eher zur „viel Wirbel um Nichts“-Fraktion gehöre. Ich beginne meine Argumentation mit drei Aussagen, die ich nach und nach erläutern möchte:

  • Agil hat nichts mit Methode und / oder Technologie zu tun.
  • Erfolgreiche Projekte waren schon immer agil.
  • Selbstorganisation ist nur eine Facette agiler Arbeit.

Agil bedeutet nicht mehr und nicht weniger als beweglich. Gleichsetzungen mit Methoden wie z.B. Agil = Scrum sind schlichtweg falsch. Das agile Manifest wurde von Menschen geschrieben, die selbst Methoden entworfen hatten und auf der Suche nach der besten bzw. nach grundlegenden Prinzipien waren um Software-Entwicklung erfolgreicher zu gestalten. Die Kernaussagen, die am Ende des Treffens getroffen wurden, sind methoden-agnostisch. Schnell greifbare Ergebnisse zu erzielen und diese mit dem Kunden zu besprechen, statt lange Verträge zu schreiben ist trivial, sehr sinnvoll aber nach wie vor in vielen Projekten keine gelebte Praxis.

Die Digitalisierung läuft schon seit Jahrzehnten. Das Problem, dass sich die Anforderungen an ein Projekt während der Laufzeit ändern, besteht noch länger. Erfolgreiche Projekte haben schon immer einen Weg gefunden neue Anforderungen zu integrieren und die Planung permanent den sich verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Ob diese Beweglichkeit (Agilität) mit einem ausgefuchsten Change-Management-Prozess oder mit einer anderen Methode erreicht wurde ist nebensächlich. Letztendlich erhöht agiles Arbeiten die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ergebnis entsteht, das den Kunden zufrieden stellt. Ein zufriedener Kunde ist der wichtigste Baustein des Projekterfolgs.

Bei der Selbstorganisation wage ich ebenfalls die Aussage, dass erfolgreiche Projekte immer einen gewissen Anteil an Selbstorganisation enthalten müssen. Jedes Projekt enthält per Definition Unbekanntes. Dementsprechend wird sich die zu Beginn gewählte Organisation eines Projektes im besten Fall als unvollständig, im schlechtesten Fall als untauglich erweisen. Die Vorstellung während eines Projektes parallel einen Organisations-Entwicklungs-Prozess mitlaufen zu lassen, halte ich für unrealistisch. Lösen lässt sich dieses Problem nur, wenn ein gewisser Freiheitsgrad für Selbstorganisation eingeräumt ist.

Jetzt drängt sich die Frage auf warum ich diesen Text überhaupt geschrieben habe. Ich befürchte, dass in dem aktuellen Wirbel die wichtigen Aspekte der Agilität verloren gehen, Nebeneffekte überbetont werden und am Ende das Gegenteil erreicht wird. Vor nicht allzu langer Zeit hörte ich einen Projekt-Manager eines IT-Unternehmens folgenden Satz sagen:

Wir machen nur Scrum um unsere Mitarbeiter besser kontrollieren zu können.

Eine andere Aussage, die mir begegnet ist, lautet:

Wenn wir agil arbeiten, können wir uns Pläne und Konzepte sparen.

Diese Aussagen sind nicht vollständig falsch, weisen aber in eine ungesunde Richtung. Es wird leicht übersehen, dass in der agilen Arbeit so viel geplant wird im klassischen Projekt-Management. Es geschieht nur zu einem anderen Zeitpunkt und wird gemeinschaftlich erledigt. Eine ordentliche abgearbeitete Einzel-Anforderung trägt die Konzeption in sich, es gibt lediglich kein Konzept-Dokument im klassischen Sinne. Elemente wie Backlogs, Boards, Charts, Reviews und Retrospektiven dienen dem selbstverantwortlichen „Inspect & Adapt“ und nicht einem Mikro-Management-Kontrollbedürfnis.

Zum Schluss mein grusliges Lieblingszitat:

Sprints – das hört sich so schön schnell an.

Sprint auf Sprint ohne abgesicherte Pause machen die Menschen kaputt. Hier ziehe ich einen Vergleich zum Sport. Zwei 100 Meter-Läufe lassen sich ohne große Pause absolvieren. Ein 400 Meter-Lauf ist die längste Sprint-Distanz überhaupt. Wird das missachtet übersäuert die Muskulatur und am Ende läuft niemand mehr.

Ergänzende Texte:

3 Gedanken an “Agil, digitaler Wirbel oder des Kaisers neue Kleider

  1. Karl Stöhr

    „Letztendlich erhöht agiles Arbeiten die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ergebnis entsteht, das den Kunden zufrieden stellt. Ein zufriedener Kunde ist der wichtigste Baustein des Projekterfolgs.“

    –> das ist die Kernaussage welches über den (langfristigen) Erfolg eines Unternehmens entscheidet. Und Agil waren Projekte schon immer – auch wenn früher niemand dieses Wort verwendet hat. Miteinander reden, Zusagen einhalten, am selben Strang ziehen und dem Kunden das liefern was er möchte und wofür er bezahlt (und nicht das was wir glauben dass gut für ihn ist), ist und war der Schlüssel zum Erfolg.

  2. Dr. Eberhard Huber Beitragsautor

    Hallo Roland, der Begriff „Kultur des Ausprobierens“ ist sehr schön, das ist der Gedanke, der mit zur Fertigstellung eines anderen Textes noch gefehlt hat, ich komme darauf zurück, LG Eberhard

  3. Roland Dürre

    Sehr schön. Ich stimme völlig zu und meine, dass agil die „Kultur des Lebens“ ist.
    Kleine Ergänzung:
    Zu den „Sprints“.
    Das Agile Manifesto würde von SW-Entwicklern geschrieben. Auch SCRUM wurde in der SW-Entwicklung erfunden. Der Sprint war dort notwendig, weil bei langen Integrations-Abständen der neue „Built“ oft nicht mehr funktionierte und der Aufwand an Arbeit und Zeit unheimlich hoch war, durch Regression wieder ein lauffähiges System herzustellen.

    Agiles Arbeiten erlaubt natürlich kein Arbeiten ohne Plan und Konzept. Allerdings ist die Entwicklung von innovativen Produkten mit völlig neuen Funktionen, deren konkrete Ausprägung zum Start noch gar nicht bekannt sein können, nur agil möglich. Man könnte dann an Stelle von agil auch von einer „Kultur des Ausprobierens“ sprechen.

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